AG Epilepsiechirurgie
In Deutschland leiden ca. 600.000 Menschen unter einer Epilepsie, von denen etwa 65% der Patienten medikamentös behandelbar sind. In 35% der Fälle treten trotz optimaler Medikamenteneinstellung weiterhin epileptische Anfälle auf, die sich nicht nur durch "krampfartige" Bewegungen der Arme und Beine, sondern auch durch Gefühlsstörungen bis hin zum Bewusstseinsverlust äußern können. Einem Teil dieser Patienten, die unter einer sogenannten "therapieresistenten" Epilepsie leiden, kann durch einen epilepsiechirurgischen Eingriff geholfen werden.
Dazu ist eine genaue Aufarbeitung im Rahmen der prächirurgischen Diagnostik notwendig. Diese dient zur genauen Identifikation der Gehirnregion, von der die epileptischen Anfälle ausgehen und identifiziert mögliche Veränderungen des Gehirns wie z.B. Narben oder Tumorgewebe. Die dafür notwendigen Rahmenbedingungen wurden 1993 geschaffen, als die interdisziplinäre Erlanger Arbeitsgruppe Epilepsiechirurgie die behördliche Anerkennung als Zentrum der höchsten Stufe (Grad IV) zur Versorgung von Patienten mit schwer behandelbarem Anfallsleiden erhielt (Epilepsiezentrum ).
Nach den präoperativen Untersuchungen im Epilepsiezentrum wird für jeden Patienten in regelmäßigen Abständen durchgeführten interdisziplinären Fallkonferenzen ("Epilepsiekonferenz") ein individueller Behandlungsplan erstellt. Um dies durchzuführen, bedarf es einer engen Zusammenarbeit von Neurologen, Psychologen, Neuroradiologen, Neuropädiatern und Neurochirurgen. Im Anschluss daran werden mit den Patienten sowie deren Familie ausführlich die Ergebnisse besprochen, um eine fundierte Entscheidung für oder gegen eine Operation zu ermöglichen. In der Neurochirurgischen Klinik ist eigens zu diesem Zweck eine Epilepsiechirurgische Sprechstundeeingerichtet worden.
Neben der Phase-II-Diagnostik mit Implantation von subduralen Elektroden oder Tiefenelektroden zur genaueren Lokalisation des Anfallsfokus und weiteren Operationsplanung werden alle gängigen epilepsie-chirurgischen Verfahren wie beispielsweise die mikrochirurgische Entfernung anfallsauslösender Hirnareale, eine genau definierte Durchtrennung von Ausbreitungsbahnen der Anfälle oder aber auch die Implantation eines Nervenstimulators (Vagusnervstimulator, VNS) durchgeführt.
Ergänzende Verfahren wie die Durchführung eines Hirnoberflächen-EEGs während der Operation (intraoperative Ableitung mittels Elektrokortikographie), die Darstellung des Anfallsfokus durch die Magnetenzephalographie (MEG) oder durch FET-PET/SPECT-Untersuchungen (Nuklearmedizin) sowie die dreidimensionale Visualisierung der Ableitungselektroden und funktionellen Hirnarealen (z.B. Sprachzentrum, Sehbahn) erlauben ein sehr hohes Maß an Präzision und Sicherheit für den Patienten.
Die Arbeitsgruppe Epilepsiechirurgie der Neurochirurgischen Klinik arbeitet daher eng mit dem Epilepsiezentrum (Leiter: Prof. Dr. H. Hamer) der Neurologischen Klinik, der Neuroradiologischen Abteilung (Prof. Dr. A. Dörfler) sowie der Neuropädiatrie (Leiter: Frau Prof. Dr. R. Trollmann) der Kinderklinik des Universitätsklinikums Erlangen zusammen.
Forschungsschwerpunkte sind unter anderem elekrophysiologische und molekularbiologische Untersuchungen an reseziertem epileptogenen Hirngewebe zur Ursachenforschung der Anfallsleiden, die Anwendung der intraoperativen MRT-Bildgebung und Neuronavigation bei epilespiechirurgischen Eingriffen. Insbesondere die Zusammenführung von funktionellen Daten, 3D-Modellen der Anfallszone und die Auswirkungen von Operationen im Bereich der Gedächtnis- und Sprachfunktionen sind von besonderem Interesse. Des Weiteren erfolgen in enger Kooperation mit dem Lehrstuhl für Neuropathologie (Leiter: Prof. Dr. I. Blümcke) Untersuchungen zu morphologischen Besonderheiten anfallsauslösender Gehirnareale. Die Teilnahme an internationalen Studien (z.B. "E-36-Studie"von 2013 zur Entwicklung eines neuen VNS-Generators) ermöglicht die Prüfung neuerer, nicht-resezierender operativer Verfahren zur Behandlung pharmakoresistenter Epilepsien.
Aktuelle Publikationen aus der Arbeitsgruppe:
Brandner S, Aicher S, Schroeter S, Swierzy I, Kinfe TM, Buchfelder M, Maslarova A, Stadlbauer A: Real-time imaging of glutamate transients in the extracellular space of acute human brain slices using a single-wavelength glutamate fluorescence nanosensor.
Sci Rep 2022, 12(1):3926.
Brandner S, Schroeter S, Caliskan G, Salar S, Kobow K, Coras R, Blumcke I, Hamer H, Schwarz M, Buchfelder M et al: Glucocorticoid modulation of synaptic plasticity in the human temporal cortex of epilepsy patients: Does chronic stress contribute to memory impairment?
Epilepsia 2022, 63(1):209-221.